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Narzissmus – zwischen Selbstinszenierung und innerer Leere

  • Autorenbild: Anne Buhmann
    Anne Buhmann
  • 12. Nov.
  • 4 Min. Lesezeit

Mensch verkleidet mit einer roten und glitzernden Maske im Gesicht.

Narzissmus ist ein Begriff, der im Alltag oft vorschnell gebraucht wird. Manche Menschen gelten als selbstverliebt, eitel oder überheblich – doch wann wird daraus eine psychische Störung? Und was verbirgt sich hinter dem oft missverstandenen Begriff der narzisstischen Persönlichkeitsstörung (NPS)? Dieser Beitrag gibt einen Einblick in die psychologische Perspektive und beleuchtet sowohl die äußere Fassade als auch das innere Erleben betroffener Personen.


Zwischen Fassade und Verletzlichkeit


Menschen mit stark ausgeprägten narzisstischen Eigenschaften wirken auf den ersten Blick oft selbstbewusst, dominant oder überlegen. Sie streben nach Anerkennung, bewundern sich selbst oder möchten zumindest, dass andere es tun. Doch hinter dieser grandiosen Fassade verbirgt sich nicht selten ein verletzlicher, innerlich unsicherer Anteil, der nur selten sichtbar wird. Fachleute sprechen daher von einem „grandiosen“ und einem „vulnerablen“ Selbst – beide sind Ausdruck eines instabilen Selbstwertgefühls, das durch äußere Bestätigung mühsam stabilisiert werden muss.


Im klinischen Alltag begegnet man diesen beiden Seiten in unterschiedlicher Ausprägung: Der grandiose Typ zeigt seine Überlegenheit offen, während der vulnerable Typ eher still, schüchtern oder depressiv erscheint und seine narzisstische Problematik erst auf den zweiten Blick erkennbar wird.


Vom gesunden Narzissmus zur Störung


Ein gewisses Maß an Selbstvertrauen, Stolz auf eigene Leistungen und der Wunsch nach Anerkennung sind völlig normal – ja sogar gesund. Studien zeigen, dass Menschen mit einem stabilen, positiven Selbstbild psychisch widerstandsfähiger sind. In der Psychologie spricht man in diesem Zusammenhang von „adaptivem Narzissmus“.


Problematisch wird es jedoch dann, wenn diese Eigenschaften übersteigert auftreten, sozial unverträglich werden oder das Leben anderer – oder das eigene – massiv beeinträchtigen. Der Übergang zur narzisstischen Persönlichkeitsstörung ist dabei fließend. Entscheidend für die Diagnose ist: Die betroffene Person zeigt ein tiefgreifendes Muster von Großartigkeit, ein starkes Bedürfnis nach Bewunderung und einen Mangel an Empathie über viele Lebensbereiche hinweg. Und: Es besteht ein subjektiver Leidensdruck oder gravierende zwischenmenschliche Schwierigkeiten.


Zwei Gesichter: Grandioser und vulnerabler Narzissmus


Die Forschung unterscheidet heute zwei wesentliche Ausprägungen narzisstischer Symptomatik:


  • Der grandiose Typ tritt selbstbewusst, fordernd und dominant auf. Es besteht ein starkes Streben nach Status, Einfluss und Bewunderung. Kritik wird häufig abgewehrt oder als Angriff empfunden. Mangel an Empathie, Rücksichtslosigkeit und eine übertriebene Anspruchshaltung können das soziale Umfeld stark belasten.

  • Der vulnerable Typ wirkt nach außen oft zurückhaltend, empfindlich oder sozial unsicher. Doch auch hier besteht ein tiefes Bedürfnis nach Anerkennung – allerdings verborgen hinter Scham, Angst vor Kritik und einer starken inneren Unsicherheit. Menschen dieses Typs sind besonders kränkbar und erleben häufiger depressive Phasen, innere Leere oder das Gefühl, wertlos zu sein.


Beide Typen vereint ein stark schwankendes Selbstwertgefühl, das häufig zwischen Überhöhung und Selbstabwertung pendelt. Oft ist auch beides gleichzeitig vorhanden – mal dominiert die Fassade des Grandiosen, mal die Verletzlichkeit des Vulnerablen.


Was hinter der Fassade liegt: Emotionen und Beziehungsmuster


Menschen mit narzisstischer Problematik erleben eine Vielzahl intensiver, oft schwer regulierbarer Gefühle. Besonders typisch sind:


  • Scham: ein tiefgreifendes Gefühl von Minderwertigkeit, das schwer benennbar ist, aber viele Reaktionen prägt.

  • Wut und Kränkbarkeit: Kritik oder Zurückweisung werden als Bedrohung erlebt und können zu heftigen emotionalen Reaktionen führen.

  • Neid: Der Erfolg oder das Ansehen anderer kann Neidgefühle auslösen, die häufig verborgen bleiben – oder sich in subtiler Abwertung äußern.

  • Innere Leere: Das Fehlen eines stabilen Selbstbildes führt oft zu einem Gefühl von Sinnlosigkeit oder innerem „Nichts“.


Diese Emotionen beeinflussen auch das Beziehungsverhalten. Andere Menschen werden nicht als gleichwertige Partner:innen wahrgenommen, sondern oft als Mittel zur Selbstbestätigung. Nähe wird gesucht aber meist nur, solange sie zur Selbstwerterhöhung dient. Kritik oder mangelnde Bewunderung führen schnell zu Rückzug, Abwertung oder sogar Aggression.


Wenn Narzissmus zur Störung wird


Nicht jede narzisstische Eigenschaft ist gleich eine Störung. Im Gegenteil: In bestimmten Situationen können sie hilfreich sein. Etwa, wenn Selbstvertrauen oder Durchsetzungsvermögen gefragt sind. Erst wenn die Ausprägung starr, übertrieben und kaum noch anpassungsfähig ist, spricht man von einer narzisstischen Persönlichkeitsstörung.


Oft fehlt zu Beginn der subjektive Leidensdruck. Viele Betroffene erleben nicht sich selbst als Problem, sondern die Umwelt. Erst bei wiederkehrenden Misserfolgen, Beziehungskrisen oder zunehmender sozialer Isolation wächst der Wunsch nach Veränderung. Besonders beim vulnerablen Typ kommt es dann häufiger zu depressiven Verstimmungen, Ängsten oder sogar suizidalen Krisen.


Seltene, aber ernste Ausprägung: Maligner Narzissmus


In besonders schweren Fällen kann sich ein sogenannter maligner Narzissmus zeigen, eine Mischung aus narzisstischer, antisozialer und paranoider Persönlichkeitsstruktur. Hier treten neben extremem Misstrauen und Aggressivität auch sadistische Züge auf. Betroffene sind häufig schwer therapierbar und tauchen eher im forensischen Kontext als in klassischen Therapieangeboten auf.


Therapie: Zwischen Herausforderung und Chance


Die Arbeit mit Menschen mit narzisstischen Störungen gilt als anspruchsvoll aber keineswegs aussichtslos. Wichtig ist ein fundiertes Verständnis für die inneren Konflikte, die hinter dem oft schwierigen Verhalten stehen. Therapeutische Beziehungsgestaltung, klare Grenzen und empathische Konfrontation sind zentrale Bestandteile erfolgreicher Interventionen.


Vor allem beim vulnerablen Typ besteht oft eine höhere Bereitschaft zur Mitarbeit, sobald Vertrauen aufgebaut wurde. Entscheidend ist, das Bedürfnis nach Anerkennung nicht pauschal abzuwerten, sondern als Ausdruck eines instabilen Selbstwertgefühls zu verstehen und Wege zu finden, diesen Wert unabhängig von äußerer Bestätigung zu stabilisieren.


Zum Schluss ein wichtiger Hinweis:


Die narzisstische Persönlichkeitsstörung ist ein vielschichtiges, oft missverstandenes Störungsbild. Dieser Beitrag soll einen ersten Überblick geben, er ersetzt keine professionelle Diagnostik oder psychotherapeutische Behandlung. Wenn du dich in den Beschreibungen wiedererkennst oder unsicher bist, ob und wie du betroffen sein könntest, wende dich bitte an eine psychologisch oder ärztlich qualifizierte Fachperson. Gemeinsam lässt sich herausfinden, wie Unterstützung für dich aussehen kann – respektvoll, individuell und mit Blick auf deine persönliche Entwicklung.


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